Gericht trifft Entscheidung zur neuen Grundsteuer
08/12/2023 · Autor: Marius Grumbt
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat in zwei Fällen zugunsten der Steuerpflichtigen über Grundsteuerwertbescheide entschieden. Trotz dieser Entwicklung bleibt die Reform vorerst unbeeinträchtigt.
Dies markiert eine Fortführung eines langanhaltenden Streits, der das Potenzial hat, die Justiz in den nächsten Jahren erheblich zu beschäftigen. In ganz Deutschland legen Eigentümer Widerspruch gegen ihre Grundsteuerwertbescheide ein, auch aufgrund offensiver Aufrufe von Verbänden. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz in Neustadt an der Weinstraße hat nun vorläufig zugunsten der Steuerpflichtigen in zwei Fällen im einstweiligen Rechtsschutz entschieden. Die Richter gaben den Anträgen von Bürgern statt, die ihre Grundsteuerwertbescheide bei ihren Finanzämtern beanstandet hatten (Az. 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23).
Im November entschied das Gericht, die Veranlagung durch das Finanzamt in beiden Fällen 'wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit' auszusetzen. Nach Prüfung der Anträge bestehen Zweifel 'sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der einzelnen Bescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Bewertungsregeln', so das Finanzgericht in seiner Begründung. Die Bescheide sind somit vorerst nicht rechtskräftig.
Es ist das erste Mal, dass Steuerpflichtige vor einem Finanzgericht eines Bundeslandes erfolgreich mit ihren Einwänden gegen die Bewertung nach dem sogenannten Bundesmodell vorgehen. Dieser Umstand verleiht der Entscheidung aus Neustadt eine besondere Spannung, obwohl sie formal kein Urteil darstellt. Die Richterinnen und Richter fällten weder ein Urteil über eine Klage noch über die generelle Rechtmäßigkeit der Grundsteuer. Letzteres kann allein vom Bundesfinanzhof als Deutschlands höchstem Steuergericht festgestellt werden. Dieser müsste einen entsprechenden Fall dann ans Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe überweisen, das abschließend über die Verfassungsmäßigkeit entscheidet.
Ein Eilantrag gegen das Grundsteuermodell von Olaf Scholz steht im Raum. Die Entscheidung aus Neustadt wird dennoch in Berlin und insbesondere im Kanzleramt aufmerksam verfolgt. Rheinland-Pfalz ist eines von elf Bundesländern, in denen das besagte Bundesmodell Anwendung findet. Dieses wurde vom heutigen Bundeskanzler und damaligen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) konzipiert. Bereits früh wurde es von Steuerexpertinnen und -experten als besonders kompliziert kritisiert. Fünf Bundesländer entschieden sich daher, eigene Grundsteuergesetze zu erlassen oder das Bundesmodell zu modifizieren.
Im Neustädter Gericht sind die Bewertungsregeln, auf denen die Grundsteuer basiert, in beiden Fällen strittig. Die Grundsteuer wird durch ein dreistufiges Verfahren berechnet. In der ersten Stufe ändern sich die Werte im Rahmen der Grundsteuerreform. Die Finanzämter bewerten die Grundstücke anhand der eingereichten Erklärungen und der neu festgelegten Bodenrichtwerte, was den Grundsteuerwert ergibt. In der zweiten Stufe wird dieser Grundsteuerwert mit dem Steuermessbetrag multipliziert, und schließlich wenden die Kommunen ihren jeweiligen Hebesatz auf das Produkt an und versenden die endgültigen Steuerbescheide.
Besondere Zweifel des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz gelten den Bodenrichtwerten: Es ist unklar, ob diese 'rechtmäßig zustande gekommen sind'. Die Richter hegen 'ernsthafte Bedenken hinsichtlich der gesetzlich geforderten Unabhängigkeit der rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse', die die Bodenrichtwerte festlegen. Einflussnahmemöglichkeiten könnten nicht ausgeschlossen werden.
Die Parameter zur Berechnung der Grundsteuer sind auch unter Steuerrechtsexperten umstritten, ebenso wie die gesamte Ausgestaltung der Grundsteuerreform. Lobbyverbände wie Haus & Grund und der Bund der Steuerzahler mischen aktiv mit und haben beispielsweise ein Gutachten bei dem renommierten Juristen Gregor Kirchhof in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten soll als argumentative Grundlage für Musterklagen dienen, die die Verbände in mehreren Bundesländern vor Gericht bringen möchten.
Kirchhof, der den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanzrecht und Steuerrecht an der Universität Augsburg innehat, kommt in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass das Bundesmodell rechtswidrig ist. Er nennt insgesamt zehn Punkte, darunter auch den Bodenrichtwert. Kirchhof hält diesen für problematisch, da die Werte 'systematische Bewertungsmängel' aufweisen und 'zuweilen kaum vergleichbar' sind. Das Gutachten sieht hier die Gefahr, dass durch die strikte Anwendung des Bodenrichtwerts der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verletzt wird.
Quelle: Capital 06.12.2023